Bundeshaus-Blog
Dritte Woche, dritter Tag (12.6.)
Der heutige Tag beginnt gleich mit einem Tiefpunkt: Auch der Nationalrat macht eine kritische Erklärung zum Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dies auf Antrag der Rechtskommission. Wir lieben ja den «helvetischen Exeptionalismus» (Zitat Min Li Marti) und finden, wir haben beste Demokratie und das beste Rechtssystem. Kritik ertragen wir nicht so gut. Dabei hilft uns der EGMR, den Rechtsstaat weiterzuentwickeln (Beispiel Verdingkinder). Und das ist gut so, denn wir haben ja keine Verfassungsgerichtsbarkeit. Die SVP findet die Klage der Klimaseniorinnen sowieso unnötig, weil Frauen ja eh im Durchschnitt 85 Jahre alt werden. No comment… Schlimm genug, dass die Mitte bei dieser fragwürdigen Erklärung voll mit dabei ist und die Gewaltentrennung so in Frage stellt. Es nützt alles nichts, die Erklärung wird mit 111:72 Stimmen bei 10 Enthaltungen so verabschiedet.
Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk ist heute zu Besuch im Bundeshaus. Über Mittag findet ein Austausch mit ihm statt. Als er das Parlamentsgebäude betritt, gibt es Tumult. Die Bundespolizei hat aus Sicherheitsgründen Teile des Bundeshauses kurzzeitig abgesperrt. Das schürt den Unmut von Thomas Aeschi und Michael Graber, sie liefern sich ein Handgemenge mit der Polizei. Ein weiterer Tiefpunkt in diesem Parlament, auch Parlamentarier:innen haben sich an Regeln zu halten.
Der besagte Austausch über Mittag ist dann sehr eindrücklich und berührend. Wir wollen vor allem wissen, wie das «normale» Leben in einem kriegsversehrten Land aufrecht erhalten werden kann.
Doch es gibt auch erfreuliche Momente: Eine Motion von Greta Gysin, welche einen Vaterschaftsurlaub beim Tod des ungeborenen Kindes verlangt, erhält auch in der leicht abgeänderten Version des Ständerats eine Mehrheit. Ebenfalls wird eine Motion der Gesundheitskommission überwiesen, welche den Bundesrat beauftragt, die notwendigen Schritte einzuleiten, um die Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie schweizweit sicherzustellen und die Tarifpartner zur Aushandlung differenzierter und kostendeckender Tarife zu bewegen.
Dritte Woche, zweiter Tag (11.6.)
Heute geht es um den alpenquerenden Verkehr. Nach der Annahme der Alpeninitiative im Jahr 1994 sind wir vom Verlagerungsziel von höchstens 650'000 Lastwagen-Durchfahrten pro Jahr immer noch weit entfernt. Der Bundesrat will darum die Bahn im Güterverkehr durch die Alpen weiter stärken. Die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) soll darum auf den 1. Januar 2025 an die Teuerung anpasst werden, um den Schienengüterverkehr durch die Alpen zu stärken. Zudem will der Bundesrat die Grundlagen dafür schaffen, dass Bahntransporte auf Strecken unter 600 Kilometern finanziell stärker gefördert werden können. Leider setzt sich die Lastwagenlobby knapp durch und verhindert eine Anpassung der Schwerverkehrsabgabe an die Teuerung. Schade, eine verpasste Chance, denn damit die LKW-Fahrten im Vergleich zum Schienentransport nicht immer günstiger werden, braucht es diese Erhöhung. Immerhin werden 3 Motionen überwiesen, welche die Mittel für die Verlagerung vom Güterverkehr auf die mittleren Strecken erhöhen wollen, zudem soll der Bau von Alternativen zu den stark belasteten NEAT-Zufahrtsstrecken vorangetrieben werden.
Am Nachmittag findet wie immer am Dienstag die Fraktionssitzung stat. Die Abstimmungen vom Wochenende und die Europawahl sind natürlich ausführlich Thema. Am Abend gehe ich zum ersten Mal an den jährlichen Empfang des Fürstentums Lichtenstein. Ich bin ganz begeistert von der Botschafterin Doris Frick, werde sicher wieder an so einem Anlass teilnehmen!
Dritte Woche, erster Tag (10.6.)
Das Abstimmungswochenende war leider nicht so erfreulich. Das Stromgesetz wurde deutlich angenommen, bin sehr beruhigt. Dafür wurde unsere Prämienentlastunginitiative abgelehnt, und dies leider klarer, als erwartet. Damit sind die Probleme von vielen Leuten, welche die Krankenkassenprämien nicht mehr bezahlen können, aber immer nicht gelöst. Es braucht jetzt wohl eine öffentliche Krankenkasse.
In Winkel fand eine Ersatzwahl in den Gemeinderat statt. Leider hat es Lejla Salihu nicht geschafft, trotz ausgezeichnetem und engagiertem Wahlkampf. Ich bin aber sicher, dass Lejla nach den nächsten Erneuerungswahlen Mitglied im Gemeinderat Winkel sein wird!
Heute bin ich schon eine Stunde vor Sitzungsbeginn in Bern, da ich noch ein Interview mit einem Journalisten habe. Ich liebe es im Ratssaal zu sitzen, wenn er fast leer ist. Ist immer so friedlich.
Heute Nachmittag ist auch Angelo Barrile wieder zu Besuch. Es geht um eine Parlamentarische Initiative, die noch von ihm eingereicht wurde. Schweizer Staatsbürger:innen sollen beim Nachzug von Familienangehörigen aus Drittstaaten gleiche Rechte wie EU- und EFTA-Bürger:innen erhalten. Nach geltendem Recht können Schweizer:innen bis jetzt nämlich nur ihre Ehepartner:innen sowie Kinder unter 18 Jahren aus Drittstaaten nachziehen, keine weiteren Verwandten. Der Rat stimmt der Gesetzesänderung mit 104:86 Stimmen bei 7 Enthaltungen zu. Ein Erfolg für Angelo!
Der Tag endet aber nicht gut: Eine Motion von SR Petra Gössi, welche die Rückführung von Eritreern mit abgewiesenen Asylgesuchen in ein Drittland verlangt (zB. Ruanda), erhält auch im Nationalrat eine Mehrheit. Dieser unverantwortliche und zudem undurchführbare Entscheid stellt das Recht auf Asyl und die Verpflichtungen der Schweiz im Rahmen der UNO-Flüchtlingskonvention in Frage. Ein absoluter Tiefpunkt.
Zweite Woche, vierter Tag (6.6)
Heute Morgen geht es einmal mehr ums neue Namensrecht. Der Nationalrat hat sich nun für folgendes entschieden: Bei einer Heirat hat jede/r die Möglichkeiten, so zu heissen, wie man will. Also den eigenen Namen behalten oder denjenigen der Ehefrau oder des Ehemannes annehmen: man kann auch einen Doppelnamen wählen, mit oder ohne Bindestrich, auch die Reihenfolge der Namen kann bestimmt werden. Für die gemeinsamen Kinder muss man sich aber für einen Familiennamen entscheiden, es soll keine Doppelnamen geben. Ein entsprechender Antrag findet leider keine Mehrheit.
Nachher beschäftigen wir uns mit dem Strafgesetzbuch: Stalking soll endlich als Straftatbestand aufgenommen werden. Im Sinne des Opferschutzes wird nun diese Gesetzeslücke nach dem Willen des Nationalrates geschlossen. Stalking heisst nun allerdings «Nachstellung». Ein Antrag, den englischen Begriff zu übernehmen, findet keine Mehrheit. Die Vorlage geht jetzt in den Ständerat.
Nach Sitzungsschluss schaffe ich noch den 13-Uhr-Zug, und es geht bereits wieder nach Hause!
Zweite Woche, dritter Tag (5.6.)
Die Sitzung geht heute nicht sehr lange, da ab Mittag die Fraktionsausflüge stattfinden. Im Rat verabschieden wir heute die Legislaturplanung, sie musste sogar in die Einigungskonferenz.
Ich nehme ausnahmsweise nicht am Fraktionsausflug daran teil, weil heute auch die sogenannte Übung Alpha Uno stattfindet: F/A-18 werden auf der Autobahn A1 starten und landen. Die Mitglieder der Sicherheitspolitischen Kommissionen sind zum Besuch der Übung eingeladen. Ehrensache, dass ich als Präsidentin der SiK-N mit dabei bin. Zum Glück spielt das Wetter mit, so ist die Stimmung unter den Gästen auch ausgezeichnet. Nicht so überzeugt bin ich allerdings, ob diese Übung tatsächlich nötig ist. Das zugrunde liegende Bedrohungsszenario halte ich auch unter den veränderten geopolitischen Bedingungen für die Schweiz als eher unwahrscheinlich.
Zweite Woche, zweiter Tag (4.6.)
Der heutige Tag beginnt für mich wieder früh, mit einer weiteren Sitzung der Subkommission Änderung Kriegsmaterialgesetz. Und irgendwie werde ich gar nie richtig wach heute.
Im Rat geht es dann zuerst um aussenpolitische Anliegen. Am meisten für Aufmerksamkeit sorgt eine Motion von Fabian Molina, die verlangt, dass Palästina als Staat anerkennt werde, basierend auf den Grenzen von 1967. Dies unter der Bedingung der Freilassung der von der Hamas am 7. Oktober 2023 entführten israelischen Geiseln. Diese Anerkennung soll dazu beitragen, den Frieden und die Stabilität in der Region zu fördern und eine gerechte und dauerhafte Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu unterstützen. Ziel ist nach wie vor eine Zwei-Staaten-Lösung. Der Bundesrat wehrt sich gegen die Motion, weil eine solche Anerkennung in sein Kompetenzbereich gehört und er nicht vom Ansinnen überzeugt ist. Die Motion hat auch keine Chance und wird mit 61:131 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt.
Über Mittag findet ein Anlass der Parlamentarischen Gruppe «Polizei und Sicherheitsfragen» statt, welche Jean-Luc Addor und ich präsidieren. Heute geht es um POLAP, also um die zukünftige nationale Abfrageplattform, die alle Kantonspolizeien und das fedpol miteinander vernetzt. Die Notwendigkeit dieser Plattform ist unbestritten. Man ist sich aber nicht ganz einig, welcher Weg am schnellsten zum Ziel führen wird: eine Verfassungsänderung auf Bundesebene oder ein Konkordat der Kantone. Zurzeit werden noch beide Wege gleichzeitig weiterverfolgt vom EJPD.
Nach der Fraktionssitzung am Nachmittag bin vom «staaslabor» für einen informellen Austausch mit der ehemaligen Vize-Generalsekretärin der Nato, Rose Gottemoeller, eingeladen. Die Neutralität der Schweiz ist erwartungsgemäss ein zentrales Diskussionsthema.
Zweite Wocher, erster Tag (3.6.)
So wirklich erholsam war das Wochenende nicht, aber das wusste ich ja. Am Samstag am Parteitag traten Andi Daurù und ich als Co-Präsidium der SP Kanton Zürich zurück. Das war sehr emotional. Auch wenn wir uns den Entscheid gut überlegt haben und der Zeitpunkt jetzt auch wirklich günstig ist, spüre ich doch eine grosse Wehmut und so etwas ähnliches wie Abschiedsschmerz. Werde all die lieben Menschen, mir denen wir in den letzten sieben Jahren intensiv zusammengearbeitet haben, enorm vermissen. Zum Glück wird das Präsidium von Michèle Dünki und Jean-Daniel Strub übernommen. Eine bessere Nachfolge hätten wir uns nicht wünschen können !
(Foto von Sylvie Fee Matter)
Im Rat diskutieren wir heute vor allem über die sogenannte Umweltverantwortungsinitiative (für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb den planetaren Grenzen) von den jungen Grünen. Die Initiative sieht die Einführung eines neuen Artikels in der Bundesverfassung vor. Wirtschaftliche Tätigkeiten dürfen nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Dafür sieht die Initiative eine Übergangsfrist von 10 Jahren vor. Das ist sehr sportlich, eigentlich unmöglich. Darum gibt es auch einen direkten Gegenvorschlag. Dieser übernimmt die Verfassungsbestimmung der Volksinitiative, verzichtet aber auf die etwas überambitionierte Übergangsbestimmung von 10 Jahren. Die SP unterstützt beides, leider ohne Erfolg. Die Initiative sowie der Gegenvorschlag werden abgelehnt, nur die SP und die Grünen stimmen dafür.
Auch vom Ständerat gibt es nichts Positives zu vermelden : Der Armee/Ukraine-Deal, welcher mit einem Spezialfonds 10 Mrd. für die Armee bis 2030 und 5 Mrd. für die Ukraine-Aufbauhilfe zu Verfügung stellen würde (und so das Budget der internationalen Zusammenarbeit schonen würde), wird abgelehnt. Leider ziemlich deutlich, mit 28 :15 Stimmen und 2 Enthaltungen. Dafür wird der Zahlungsrahmen der Armee um 4 Mrd. aufgestockt, natürlich auf Kosten der internationalen Zusammenarbeit. Genau das wollten wir eigentlich verhindern.
Erste Woche, vierter Tag (30.5.)
Heute Morgen haben wir ein Art «Gemischtwarenladen»: Es geht zum Beispiel von der Anerkennung von Berufsqualifikationen zwischen der Schweiz und Grossbritannien, über Aus- und Weiterbildung als Hilfe beim Berufswiedereinstieg bis hin zu tieferen Medikamentenpreisen. Aber eine Motion von SP-Kollege Bruno Storni hat medial die grösste Aufmerksamkeit: Schneckenzucht soll zur Landwirtschaft gezählt werden. Die Schneckenzucht bildet einen neuen Zweig in der Landwirtschaft, der weltweit einen Aufschwung erlebt, in der Schweiz aber in der Landwirtschaftszone nicht erlaubt ist, weil Schnecken nicht als landwirtschaftliche Nutztiere gelten. Die Motion wurde im Nationalrat bereits überwiesen, auch der Ständerat hat einer leicht abgeänderten Form zugestimmt. Heute geht es darum, die Version Ständerat anzunehmen, was der Nationlrat denn auch einstimmg tut. Meine Banknachbarin Claudia Friedl und ich malen uns aus, ob es dann vielleicht auch einen Alpaufzug gibt und ob man den Schnecken wohl auch Glöckchen anhängen wird ;-).
Nach Sitzungsschluss geht’s dann endlich wieder nach Hause. Freue mich, meine Familie wieder zu sehen und endlich auch wieder eimal im eigenen Bett zu schlafen!
Erste Woche, dritter Tag (29.5.)
Der Tag beginnt heute sehr früh für mich. Ich habe bereits um 6.30 Uhr eine Subkommissionssitzung. Das ist nicht unüblich während den Sessionen, aber schon etwas anstrengend…
Im Rat geht es heute vor allem um die Bildung. Grundsätzlich ist das Bildungswesen kantonal organisiert, aber die sogenannte BFI-Botschaft – also die Förderung von Bildung, Forschung und Innovation – ist eine nationale Angelegenheit. Der Bund erteilt finanzielle Unterstützung an Hochschulen und an Forchung. Es ist eine Binsenweisheit, aber deswegen nicht weniger wahr: Bildung ist der einzige Rohstoff, den wir in der Schweiz haben. Diesem sollten wir ihm Sorge tragen und auch genügend in die Bildung investieren. BR Guy Parmelin liess erfreulicherweise eine Vernehmlassung zur BFI-Botschaft durchführen. Doch leider war die Folge davon, dass die ganze Botschaft danach um 500 Mio. gekürzt wurde. Was für eine kurzsichtige und dämliche Sparübung! Unsere Hochschulen können ihre Exzellenz nicht bewahren, wenn sie nicht genügend alimentiert werden. Die Vorlage des Bundesrats kann immerhin etwas verbessert werden: Es gibt zum Beispiel 100 Mio. mehr für die ETH und 20 Mio. für den Nationalfonds. Das ist auch richtig so, denn Investitionen in Bildung, Weiterbildung, Forschung und Innovation sind essenziell für uns ! Die Vorlage geht jetzt in den Ständerat.
Nach Sitzungsschluss trifft sich wieder einmal die Bundeshaus-Band. Wir singen unser ganzes Liederbüchlein rauf und runter. Obwohl ich ziemlich müde bin, macht das sehr viel Spass und tut auch der Seele gut.
Erste Woche, zweiter Tag (28.5.)
Es geht nicht sehr lange und ich bin wieder voll drin im Ratsbetrieb. Aber gedanklich bin ich noch etwas in Sofia geblieben. Meine Seele hat immer etwas länger, bis sie zurückgekehrt ist ;-).
Der heutige Morgen steht ganz unter dem Zeichen der Finanzpolitik. Die Finanzen des Bundes sind klamm, wegen der Schuldenbremse ist sparen angesagt. Wir haben uns dieses Korsett selber gegeben. Die Nettoschuldenquote der Schweiz beträgt lediglich 17,8%, die tiefste in Europa…
Zuerst geht es um Nachtragskredite zum Voranschlag 2024. Der Bundesrat wollte zum Beispiel nur 4 mickrige Mio. für die Frauen-Fussball-EM ausgeben (80 Mio. waren es 2008 notabene bei den Männern). Diese EM wird eine grosse Strahlkraft haben und ist der zweitgrösste Sportevent in Europa. Der Nationalrat legt darum nun 11 Mio. drauf.
Bei den Bundesasylzentren wird ein Nachkriegskredit für mehr Betten und Betriebsausgaben nun endlich bewilligt. Das ist richtig, denn der Bund ist hier in der Verantwortung.
Auch bei der Entwicklungszusammenarbeit gibt es 1 Mio. mehr für die Minenräumung in der Ukraine, obwohl Andreas Gafner meint, die Ukraine sei ein Fass ohne Boden. Da erübrigt sich jeglicher Kommentar…
Und dann wird doch tatsächlich die Tonnage-Tax beerdigt. Endlich – um es in den Worten von Jacqueline Badran zu sagen. Diese Steuerbegünstigungsvorlage war von Anfang bizarr: Die Hochseeschifffahrt, die finanziell eh gut dasteht, hätte absurde Steuergeschenke bekommen sollen. Im Angesicht der klammen Bundesfinanzen bekamen nun auch etliche Bürgerliche kalte Füsse. Der Nationalrat tritt darum mit 100:75 Stimmen bei 2 Enthaltungen gar nicht erst auf die Vorlage ein und folgt damit dem Ständerat.
SOMMERSESSION; 27.5.-14.6.2024, erster Tag (27.5)
Diese Session beginnt mit einer Premiere für mich: Ich verpasse den ersten Sessionstag. Aber natürlich nicht, weil ich das Wochenende etwas verlängern wollte, sondern weil ich von Freitag bis heute Montag in Sofia weilte. Grund dafür ist die Nato-Plenarversammlung, als SiK-Präsidentin bin ich Teil der Schweizer Delegation. Die Schweiz ist an dieser Plenatversammlung auch mit dabei. Selbstverständlich nicht als Mitglied, aber als assoziiertes Partnerland. Am Wochenende wurden die Kommissionssitzungen abgehalten, heute findet nun die eigentliche Plenarsitzung statt. Es ist für mich das erste Mal, dass ich mich so ausgiebig mit Vertreter:innen aus anderen Ländern austauschen kann.
Der Fokus der Nato ist ganz klar: Man muss die Ukraine unterstützen, denn sie verteidigt unsere gemeinsamen demokratischen Werte. Von der Nato-Family ist oft die Rede und «One for all, all for one». Die Hauptaufgabe der Nato sei aber klar die Verhinderung von Krieg, durch glaubhafte Abschreckung. Der Generalsekretär Jens Stoltenberg ist heute auch anwesend und redet den Bündnispartnern ins Gewissen: Die Ukraine braucht unbedingt mehr Luftabwehr und Munition.
Als neutrales Land kann die Schweiz keine Waffen direkt in die Ukraine liefern, bei den Wiederausfuhren sind wir aber dran das Kriegsmaterialgesetz zu ändern. Ich hoffe, erfolgreich. Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock ist aber ein weiterer, wichtiger Schritt in Richtung Waffenstillstand. Dieses Angebot der Schweiz findet hier auch viel Wohlwollen, sogar Selenski erwähnt die Friedenskonferenz in seiner Videobotschaft. Was mir bis anhin nicht vollständig bewusst war: Die Interoperabilität ist auch innerhalb der Nato ein grosses Thema. Es handelt sich bei der Nato ja nicht um eine einzige Armee, sondern um einzelne, verschiedene Streitkräfte.
Am Nachmittag müssen wir Sofia (das mir übrigens sehr gut gefallen hat) wieder verlassen und fliegen in die Schweiz zurück. Zu Hause wechsle ich schnell den Koffer und fahre am Abend noch nach Bern. Jetzt kann die Session auch für mich beginnen!
Dritter Tag (17.4.)
Die gute Nachricht zuerst: Die Abstimmungsanlage funktioniert wieder! Darum müssen wir gleich zu Beginn der Sitzung die Abstimmungen von gestern nachholen, das dauert doch eine halbe Stunde.
Nachher geht es um einen Vorstoss meines ehemaligen Ratskollegen und besten Freunds Angelo Barrile: Er fordert ein Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen. Die vorberatende Rechtskommission konzentrierte sich in der Diskussion auf zwei Pisten: Alle Symbole mit rassistischem Hintergrund sollen verboten werden oder nur unmissverständliche Nazisymbole. Insgesamt gibt es drei Vorstösse dazu. Alle werden zum Glück klar überwiesen. Nur die SVP ist dagegen (wie kann man nur!), es gibt aber auch da einige Zustimmungen und Enthaltungen.
Am Nachmittag geht es in der PaIv Bregy um eine Schwächung des Verbandsbeschwerderechts. Es soll nur noch für Projekte von Wohnbauten gelten, die eine Geschossfläche von grösser als 400 m2 haben und in einer Bauzone geplant sind. Damit soll verhindert werden, dass Umweltschutzorganisationen gegen kleinere oder mittelgrosse Bauvorhaben von Privatpersonen Beschwerde einreichen können. Wir sind klar gegen diese Aufweichung. Das Verbandsbeschwerderecht garantiert die Rechtskonformität von Bau-Vorhaben im Sinne des Natur- und Heimatschutzes, unabhängig von ihrer Grösse. Das Verbandsbeschwerderecht wurde seit seiner Einführung stets massvoll eingesetzt. Aber es nützt alles nichts, der Vorlage wird mit 113:72 Stimmen zugestimmt und geht jetzt in den Ständerat.
Um 18.30 Uhr ist dann die Sondersession zu Ende und ich kann nach Hause fahren. Aber nur für eine kurze Zeit. Morgen habe ich bereits wieder eine Sitzung in Bern.
Zweiter Tag (16.4.)
Heute geht es praktisch den ganzen Tag um die Legislaturplanung 2023-2027. Insgesamt ist die Vorlage in vier Blöcke unterteilt: Wohlstand und Digitalisierung, Zusammenhalt, Sicherheit und Frieden, Klima und natürliche Ressourcen. Wie verbindlich solche Legislaturziele sind, da scheiden sich die Geister. Sie geben zwar eine Stossrichtung vor und sind eine Art Leitlinien. Am Ende der Legislatur findet aber keine Evaluation statt, ob die Ziele tatsächlich auch erfüllt wurden.
Eine Premiere gibt es heute für Islam Alijaj: Er kann zum ersten Mal sprechen im Rat. Es geht um die Verabschiedung eines konkreten Massnahmenplans zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention als Legislaturziel. Islam spricht bei der Begründung des Antrags selber, seine Assistentin wiederholt dann seine Sätze jeweils. Geht doch!
Im Block «Sicherheit und Frieden» streikt plötzlich die Abstimmungsanlage. Ich hoffe, das ist kein schlechtes Omen… Die Informatik schafft es nicht mehr, die Abstimmungsanlage zum Laufen zu bringen. Die Debatte wird fortgesetzt, aber die Abstimmungen werden auf morgen vertagt. Das führt natürlich dazu, dass einige Ratsmitglieder das Bundeshaus vorzeitig verlassen, es ist auch bereits 18 Uhr. Thomas Aeschi stellt den Ordnungsantrag, die Sitzung abzubrechen, falls das Quorum nicht mehr erreicht wird. Es haben sich aber allem bei der SVP die Ränge gelichtet. Da die Anlage nicht funktioniert, muss das Quorum mit Namensaufruf bestimmt werden. Das dauert… Mit 138 anwesenden Ratsmitgliedern ist es mehr als erreicht, der Antrag Aeschi ist auch eher Schikane zu verstehen. Jetzt hoffen wir alle, dass morgen die Anlage dann tatsächlich wieder funktioniert…!
Sondersession 15.-17. April 2024, erster Tag (15.4.)
Heute beginnt die diesjährige Sondersession. Wie meist üblich, muss auch dieses Jahr der Nationalrat wieder «nachsitzen». Der Ständerat tagt nicht. Normalerweise ist die Sondersession erst Anfang Mai, heuer findet sie bereits im April statt. Das Hauptgeschäft ist die Legislaturplanung 2023-2027, welche für morgen traktandiert ist. Aber wir arbeiten auch wieder zahlreiche Vorstosslisten ab.
Wir beginnen mit dem Gesetz über Besteuerung der Telearbeit im internationalen Verhältnis, die seit der Corona-Krise sehr zugenommen hat. Es soll eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um Grenzgänger:innen auch dann zu besteuern, wenn sie Telearbeit im Ausland verrichten. Mit Frankreich und Italien gibt es bereits zwei konkrete Anwendungsfälle. Das Gesetz wird ohne Gegenstimme angenommen, was nicht weiter erstaunlich ist: Wegen des Sechseläutens fehlen heute nämlich grosse Teile des Zürcher Freisinns im Rat;-). Und der Böögg wird wegen starker Windeböen nicht einmal angezündet, das erste Mal in seiner Geschichte.
Danach behandeln wir Vorstösse aus dem Finanzdepartement und der Bundeskanzlei. Eine Motion von Thomas Burgherr, welche die Reduktion der Bunderatsprivilegien verlangt, wird nicht überwiesen. Das ist auch gut so, denn diese sogenannten «Privilegien» wie GA 1. Klasse, Lufttransportdienste oder Übernahme Handy-Kosten halten sich also in engen Grenzen.
Dritte Woche, letzter Tag (15.3.)
Der heutige letzte Morgen ist rekordmässig schnell zu Ende: Um 8.30 Uhr sind wir bereits durch mit den Traktanden. Die Schlussabstimmungen bergen keine Überraschungen mehr, es wird allen Vorlagen zugestimmt. Insgesamt hat der Nationalrat in dieser Session 1800 Minuten persönliche Vorstösse behandelt und damit den Pendenzenberg abgearbeitet, das ist beachtlich.
Jetzt freue ich mich aber sehr aufs Wochenende mit meiner Familie! Nächste Woche geht es nämlich auch ohne Session mit viel Tempo weiter, werde an fünf Tagen wiederum in Bern sein.