Bundeshaus-Blog
Dritte Woche, zweiter Tag (19.12.)
Am heutigen Sitzungsmorgen ist unsere BR Elisabeth Baume-Schneider gefordert. Es geht vorwiegend um asylpolitische Geschäfte. Die SVP hat zahlreiche Vorstösse eingereicht, um die Asylpolitik zu verschärfen. Das sind so „nette“ Ideen wie Aussetzung des Resettlement-Programms oder den Bau von Bundesasylzentren in Ruanda. Zum Glück sieht es das Parlament anders und unterstützt jeweils knapp den Bundesrat in seiner Politik. Für Elisabeth ist es die letzte Sitzung im Nationalrat als Vorsteherin des EJPD, im neuen Jahr wird das denn Beat Jans sein. Keine leichte Aufgabe!
Zum Sitzungsende sind auch noch Geschäfte aus der SiK-N dran. Es geht u.a. um eine Kommissionsmotion, welche ein Hamas-Verbot fordert. Der Rat folgt seiner Kommission, die Motion wird überwiesen. Es gibt nicht mal eine Abstimmung, weil auch der Bundesrat dafür ist.
Während der Fraktionssitzung am Nachmittag habe ich in meiner neuen Funktion als SiK-Präsidentin einen Austausch mit BR Viola Amherd. Wir besprechen die Traktandenliste für die nächsten Kommissionssitzungen. Obwohl ich schon ein paar Gespräche mit Viola hatte, bin ich dieses Mal etwas nervös.
Am Abend fahre ich nach Zürich. Wir haben das Weihnachtessen der SP Kanton Zürich im Café Boy. Es ist ein gelungener und fröhlicher Abend. Spät fahre ich wieder nach Bern zurück, damit ich morgen auch sofort parat bin.
Dritte Woche, erster Tag (18.12.)
Nach einem sehr abwechslungsreichen Wochenende startet heute bereits die letzte Sessionswoche. Ich sehne mich jetzt ehrlich gesagt schon nach Ferien und nach den Festtagen, bin langsam ziemlich ausgelaugt.
In Bern geht es heute wieder einmal um den Voranschlag 2024, es gibt Differenzen zum Ständerat. Zum Beispiel will der Ständerat die Armeeausgaben schon 2030 auf 1% des BIP erhöht haben, der Bundesrat will dies aus finanzpolitischen Gründen erst 2035 ermöglichen. Der Nationalrat bleibt zum Glück vernünftig und standhaft und beharrt auf 2035. Dafür will der Nationalrat im Gegensatz zum Stände- und Bundesrat 20 Mio. bei den humanitären Aktionen einsparen, konkret geht es um Beiträge an das UNRWA, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten. Mal schauen, ob sich der Ständerat durchsetzt.
Beim letzten Geschäft heute geht es wieder einmal um Kriegsmaterialexporte, meinem „Lieblingsthema“. Eine Motion aus dem Ständerat will dem Bundesrat wieder Spielraum zugestehen bei Waffenexporten in Länder, welche die Menschenrechte verletzen. Erst vor nur gerade zwei Jahren wurde die Korrektur-Initiative, die von einer breiten Allianz von SP, Grüne, Mitte, EVP und BDP unterstützt wurde, zugunsten eines akzeptablen Gegenvorschlags zurückgezogen. Die Streichung genau desjenigen Passus, den der Ständerat nun wieder einführen will, war die zentrale Bedingung für den Rückzug. Nun sollen die Anliegen des Gegenvorschlags auf diese Art und Weise, also mit einer simplen Motion, ausgehebelt werden. Das ist staatspolitisch äusserst fragwürdig. Genau diese Abweichungskompetenz wollte das Parlament vor zwei Jahren dem Bundesrat nicht genehmigen, denn so wird ein neues Schlupfloch im Kriegsmaterialgesetz eröffnet, das notabene auch neutralitätsrechtlich bedenklich ist. Zu betonen ist auch noch, dass diese Aufweichung der Ukraine nichts nützt. Es geht hier nur um direkte Waffenlieferungen. Da ist die rechtliche Situation ganz klar: Als neutrales Land dürfen wir unter keinem Titel Waffen in kriegsführende Länder schicken. Es geht also lediglich um die Rüstungsindustrie. Diese Motion lässt jeglichen moralisch-ethischen Kompass vermissen. SP, Grüne und GLP sind dagegen, doch es nützt alles nichts. Weil die Mitte gekippt ist, wird der Motion mit 117:74 Stimmen zugestimmt, ein Tiefpunkt dieser Session…
Am Abend findet der traditionelle Austausch zwischen den Parlamentarierinnen und den Bundeshausjournalistinnen statt. Ich kann gute Gespräche führen, das versöhnt mich dann wieder etwas.
Zweite Woche, vierter Tag (14.12.)
Am heutigen Morgen geht es ausschliesslich um Gesundheitsgeschäfte. Es ist Alain Bersets letzter Auftritt als Bundesrat im Nationalrat. Inhaltlich bekomme ich leider nicht sehr viel mit, da heute die Kommissionmitgliedschaften bekannt geben werden müssen. Ich kann ich der Sicherheitspolitischen Kommission bleiben und darf auch das Präsidium übernehmen. Das freut mich sehr und gibt mir einen riesigen Motivationsschub! Jetzt gibt es aber bereits schon einiges zu besprechen und zu klären mit dem Kommissionssekretär. Als Zweitkommission habe ich wiederum die Geschäftsprüfungskommission. Da ich hier neu die Delegationsleitung der SP-Fraktion übernehme, muss ich mich um die Zuteilung der Subkommissionsitze kümmern. Zum Glück unterstützt mich dabei tatkräftig unsere Co-Fraktionspräsidentin Samira Marti.
Nach diesem hektischen Morgen geht es dann wieder zurück nach Hause. Nach dieser ereignisreichen Woche freue ich mich sehr, daheim hoffentlich etwas ausspannen zu können und Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen.
Zweite Woche, dritter Tag (13.12.)
Und jetzt ist er also da, der grosse Tag der Bundesratswahl. Irgendwie spürt man es gleich schon beim Aufstehen, dass heute ein besonderer Tag seinwird. Bundesratswahlen sind auch für hartgesottene Parlamentarier:innen immer ein besonderer und erhabener Moment. Um 7 Uhr haben wir noch eine Fraktionssitzung, so machen wir das immer bei Bundesratswahlen. Wir beschliessen, in der grossen Mehrheit Ignazio Cassis zu wählen. Auch wenn uns Gerhard Andrey politisch natürlich viel näher ist, gibt es leider keine Chance, dass er zum Bundesrat gewählt wird. Die Bürgerlichen üben hingegen starken Druck auf uns aus: Wenn wir uns bei der Wahl Cassis nicht benähmen, würden wir bei der Ersatzwahl Berset abgestraft werden. Das ist hässlich und stinkt uns gewaltig, aber so sind die politischen Realitäten in diesem Haus.
Zuerst wird Alain Berset verabschiedet. Er war das Gesicht der Pandemie, hat uns sicher und bestimmt durch die grösste Krise seit dem 2. Weltkrieg gelenkt. Es ist für mich schwierig vorstellbar, dass er nicht mehr Mitglied des Bundesrates ist. Danach wird der Bundeskanzler Walter Turnherr verabschiedet. Wir müssen heute auch eine/n neue/n Bundeskanzler/in wählen.
Der Reigen fängt mit Guy Parmelin an: Er wird mit sehr guten 215 Stimmen gewählt. Dann steigt die Spannung zum ersten Mal: Jetzt geht es um die Wahl von Ignazio Cassis. Der Skandal bleibt wie erwartet aus, auch er wird im 1. Wahlgang mit 167 Stimmen wiedergewählt. Auch Viola Amherd wird mit 201 Stimmen gewählt, ich habe das auch getan. Dann ist die Reihe an Karin Keller-Sutter. Sie wird mit bloss 167 Stimmer gewählt. Jetzt haben wir etwas Angst für die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider. Zuerst ist aber noch Albert Rösti dran. Es gibt 26 Leerstimmen, Rösti wird mit 189 Stimmen gewählt. Immer noch zu gut… Aber auch Elisabeth wird schliesslich gewählt, mit 151 Stimmen. Und dann ist es soweit: Es folgt der erste Wahlgang für den Ersatz von Alain Berset. Es braucht 3 Wahlgänge. Gewählt wird dann im 3. Wahlgang Beat Jans mit 134 Stimmen, Dani Jositsch erhält 68 Stimmen, Jon Pult 43. Es scheint das totale Basler Jahr zu sein ;-)!
Als Bundeskanzler wird dann Victor Rossi im 2. Wahlgang gewählt, er setzt sich mit 134 Stimmen gegenüber den SVP-Kandidaten durch. Viola Amherd wird zum Schluss des Wahlreigens mit 158 Stimmen zur Bundespräsidentin gewählt und Karin Keller-Sutter mit 138 Stimmen zur Vize, beide erstaunlicherweise nicht gerade sehr gut.
Nach den Wahlgängen findet unser traditionelles Fraktions-Weihnachtsessen im PROGR statt. Angelo ist auch mit dabei, das freut mich sehr! Gegen Ende des Anlasses stösst auch unser frisch gewählte Bundesrat Beat Jans dazu. Die Stimmung ist ausgezeichnet und freudig.
Zweite Woche, zweiter Tag (12.12.)
Heute ist ein voll bepackter Tag, er dauert für mich sogar bis Mitternacht. Ich muss/darf am Abend nach Zürich zurück in den «Club» des Schweizer Fernsehens. Die Diskussionsrunde dreht sich um die Bundesratswahlen von morgen. Ich glaube aber kaum, dass sich eine Partei in die Karten blicken lassen wird…
An der Ratssitzung am Morgen sind auch VBS-Geschäfte an. Der grüne Fabien Fivaz und ich sind sogar gemeinsam Kommissionssprecher:innen. Das ist schon sehr selten. Es geht um eine Motion von SR Werner Salzmann, welche verlangt, dass der Preis für die Munitionsgewehrpatrone GP 11 (welche für das Sturmgewehr 57, den Karabiner und das Langgewehr verwendet wird) weiterhin gleich tief bleibt. Die GP 11 wird aktuell nämlich stärker subventioniert als die Munition, die von der Armee heute aktuell verwendet wird (Gewehrpatrone 90). Die EFK hat das moniert und empfiehlt eine Senkung dieser Subvention. Das soll nach Meinung des BR umgesetzt werden. In Absprache mit dem Schweizer Schiesssportverband erhalten Schiessvereine in Zukunft mehr direkte Finanzmittel, beispielsweise erhalten sie höhere Beträge, um das obligatorische Schiessprogramm, das Feldschiessen und die Jungschützenkurse durchzuführen. Im Gegenzug wird die Subvention für die Munitionsgewehrpatrone 11 reduziert. Der Bund unterstützt damit die Schiessvereine weiterhin mit dieser Munition, obwohl sie für die Armee keinen Trainingseffekt mehr bringt. Also eine klare Sache, sollte man denken. Aber die Schiesssportlobby zeigt ihre Stärke, entgegen der Kommissions-Mehrheit wird die Motion mit 112:77 Stimmen bei 1 Enthaltung trotzdem überwiesen.
In der Fraktionssitzung am Nachmittag hören wir den grünen BR-Kandidaten Gerhard Andrey an, so wie die vierte Kandidatur für den Bundeskanzler Lukas Gresch. Wir entscheiden aber erst morgen früh über unsere Taktik und Präferenzen.
Danach findet eine gemeinsame Sitzung der beiden Themenkommissionen Sicherheit und Aussenpolitik statt. Es geht um den Krieg in der Ukraine und um die Frage, ob Russland den Krieg aus militärökonomischen Gründen verlieren wird. Leider muss ich die spannende Diskussion früher verlassen, damit ich den Zug nach Zürich nehmen kann. Bin ehrlich gesagt sehr müde, und die Sendung beginnt erst um 22.25 Uhr… In der Maske schlafe ich beinahe ein, obwohl ich diesen Teil am liebsten mag. Während der Sendung geht es aber wieder. Die Diskussion mit Petra Gössi, Beni Würth, Mike Egger und Politologe Marc Bühlmann ist sehr angeregt. Um 02.20 Uhr bin ich dann wieder in meiner Wohnung in Bern.
Zweite Woche, erster Tag (11.12.)
Das Wochenende hat sehr gut getan. Ich habe viel Zeit mit meiner Familie verbracht, ging mit einer Freundin den Ballettabend «Walkways» im Opernhaus schauen (hervorragend!) und konnte meinen geliebten Weihnachtsvorbereitungen nachgehen.
Bevor die Ratssitzung heute beginnt, habe ich noch einen Online-Austausch mit unseren Mitgliedsorganisationen der Koalition Umwelt, Verkehr und Gesundheit KLUG.
Im Rat geht es so weiter, wie es die letzte Woche geendet hat: Wir machen weiter mit der Budgetdebatte. Auch diese geht so unerfreulich weiter wie vergangene Woche: Es wird an den falschen Stellen schmerzhaft gekürzt: bei der Entwicklungszusammenarbeit (aus diesem Topf wird die Ukraine-Hilfe gespiesen, aber auf Kosten des ganzen IZA-Budgets), bei den Integrationsbeiträgen an die Kantone, in der (Berufs)Bildung. Wenigstens gibt es doch noch einen Lichtblick: Wie schon der Ständerat verzichtet auch der Nationalrat auf Kürzungen bei der Präventionskampagne gegen Gewalt an Frauen. Damit ist der Betrag nun «save»! Wir werden fertig mit den Beratungen. Aber auch unser Budget ist wegen den 54 Mio. Erhöhung bei den Direktzahlungen an die Bauern nicht schuldenbremsenkonform. Ein Ordnungsantrag der Mitte verlangt darum Rückkommen. Es soll aber nicht bei den Bauern oder der Armee gespart werden, sondern beim öV. No comment… Das Budget wird in der Gesamtabstimmung beinahe abgelehnt, mit 79:75 Stimmen bei 40 (!) Enthaltungen. Es geht nun zurück in den Ständerat.
Erste Woche, vierter Tag (7.12.)
Nach einer kurzen Nacht beginnen wir heute Morgen mit dem Hauptgeschäft jeder Wintersession: dem Voranschlag 2024. Die Finanzen des Bundes sehen leider gar nicht rosig. Der Hauptgrund dafür liegt in der Erhöhung des Armeebudgets. Der Bundesrat ist bereits schon auf die Bremse gestanden und hat die Erhöhung des Armeebudgets auf 1% des BIP auf 2035 verschoben und nicht 2030, wie das dieses Parlament wollte. Die SVP stellte einen Antrag, dass diese 1% schon 2030 erreicht werden sollen. Diese Forderung steht absolut quer in der Landschaft, es geht da immerhin um 300 Mio./Jahr. Das Budget, so wie es der Bundesrat verabschiedet hat, war gerade noch knapp schuldenbremsenkonform. In den meisten Bereichen wurde darum 2% pauschal gekürzt. Der Ständerat hat aber am Dienstag total überbordet: mehr Ausgaben fürs Militär (54,8 Mio.), mehr für die Landwirtschaft, mehr Geld für den Personenverkehr. Im Nationalrat wird es vermutlich dann nicht anders aussehen. Heute werden wir wie geplant nicht fertig mit den Beratungen. Es gibt bis jetzt mehr Geld für die Weinwerbung, für den Herdenschutz und für den Zuckerrübenanbau. Es ist immer dasselbe…
Dann ist die erste Sessionswoche der neuen Legislatur vorbei und es geht wieder nach Hause. Freue mich sehr auf meine Familie und aufs zweite Advents-Wochenende.
Erste Woche, dritter Tag (6.12.)
Es wird ein langer Tag heute, denn es finden die gemeinsamen Feierlichkeiten der Ständeratspräsidentin Eva Herzog und des Nationalratspräsidenten Eric Nussbaumer in Basel statt. Zuerst wird aber noch etwas gearbeitet: Ein SiK-Geschäft steht auf der Traktandenliste. Es geht um den sogenannten BMVI-Fonds. Bei diesem Fonds handelt es sich um einen Solidaritätsfonds, der besonders belastete Schengen-Staaten (wie Italien, Kroatien oder Griechenland) finanziell unterstützen soll, damit diese ihre Aufgaben im Rahmen ihrer Schengen-Verpflichtungen wahrnehmen können. Die SP steht hinter einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Migrationspolitik. Deshalb unterstützt sie auch Schengen und Dublin. Zentral für uns ist dabei aber, dass sich die europäische Migrationspolitik an den Grundrechten orientiert (also rechtsstaatliche Asylverfahren, keine illegalen Pushbacks) und somit an der Logik des UNO-Migrationspaktes: irreguläre Migration verhindern und reguläre ermöglichen. Die SVP stell den Antrag auf Nicht-Eintreten, kommt damit aber nicht durch. Dem Fonds wird mit 105:65 Stimmen bei 21 Enthaltungen zugestimmt und geht jetzt in den Ständerat.
Bereits um 10 Uhr ist Sitzungsschluss und es geht zuerst mit dem Zug nach Liestal. Dann fahren wir mit einer Postauto-Eskorte nach Birsfelden und steigen da ins Schiff. Wie fahren auf dem Rhein vorbei am Dreiländereck steigen in Basel wieder aus, wo die weiteren Festlichkeiten stattfinden.
Die Bundeshaus-Band muss dann in der St. Jakobs-Halle noch etwas üben, unser Auftritt ist dann am Abend vor dem Essen. Der Auftritt gelingt uns sogar recht gut. Müde, aber gut gelaunt, kehren wir am Abend spät wieder nach Bern zurück.
Erste Woche, zweiter Tag (5.6.)
Am heutigen Morgen findet die Debatte zur sogenannten Landschaftsinitiative statt. Diese Initiative will den Grundsatz der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet stärken sowie die Anzahl der Gebäude und die von ihnen beanspruchte Fläche im Nichtbaugebiet plafonieren. Die Stossrichtung der Initiative ist also absolut unterstützungswürdig und nötig. Zentrale Umsetzungsfragen lässt die Initiative aber offen. So wird zum Beispiel nicht klar präzisiert, wie das angestrebte Plafonierungsziel konkret erreicht werden soll. Im Rahmen der Teilrevision der Raumplanungsgesetzes (RPG 2) wurden die wichtigsten Anliegen der Initiative aber aufgenommen und können darum als Gegenvorschlag angesehen werden. Das sehen auch die Initiant:innen so und haben den Rückzug der Initiative bereits angekündigt. Die ganze Debatte ist also eher obsolet, deshalb gibt es auch nicht so viele Redner:innen wie sonst. Das sich dann auch noch einige von der Rednerliste zurückziehen, ist die Sitzung rund zwei Stunden früher fertig als geplant. Das habe ich in 8 Jahren Bundeshaus noch nie erlebt. Die Landschaftsinitiative selber wird schliesslich abgelehnt, nur links-grün stimmt dafür.
Über Mittag finden Proben der Bundeshaus-Band statt, ich singe dort im Chor mit. Wir haben anlässlich der Feierlichkeiten des neuen NR-Präsidenten Eric Nussbaumer einen Auftritt in Basel. Es tönt gar nicht so übel, aber wir müssen morgen schon noch etwas üben ;-).
An der Fraktionssitzung am Nachmittag geht es um die Nachfolge von Bundeskanzler Walter Turnherr, wir führen dazu Anhörungen durch und können uns dafür Zeit nehmen. Unsere eigenen Bundesratskandidaten müssen wir ja nicht mehr anhören.
WINTERSESSION, 4.-12. Dezember 2023, erste Woche, erster Tag (4.12.)
Die neue Legislatur startet heute, es ist bereits schon meine dritte. Die Zeit rast einfach nur so dahin… Auch wenn ich nun zu den «alten Hasen» im Bundeshaus zähle, bin ich doch ziemlich aufgeregt. So eine Vereidigung erlebt man ja nicht alle Tage, genau genommen nur einmal in vier Jahren ;-). Zudem haben wir in der Fraktion viele neue, spannende Kolleg:innen bekommen. Aus dem Kanton Zürich sind das Anna Rosenwasser und Islam Alijaj. Meinen Sitzplatz durfte ich behalten, ich sitze jetzt zwischen Claudia Friedl und Simona Brizzi. Von Simona bin auch zugleich das «Gotti». Das bedeutet, dass ich ihr so gut wie möglich helfen werde, sich schnell im Bundeshaus einzuleben.
Ein grosser Wermutstropfen gibt es aber für mich: Mein bester Freund Angelo Barrile ist nicht mehr dabei. Er hat sich entschieden mit dem Nationalrat aufzuhören, um sich wieder auf seine Arbeit als Hausarzt konzentrieren zu können. Ich vermisse ihn ganz fest.
Der Höhepunkt in dieser Wintersession ist natürlich ganz klar die Wahl des neuen SP-Bundesrates. Diese findet wie immer am Mittwoch in der zweiten Sessionswoche statt.
Im Bundeshaus ist die Hektik und (An)spannung sehr gross. Ein Viertel der Mitglieder ist neu und die Aufregung gross. Auch mir wird wieder einmal bewusst, was für ein Privileg es ist, Mitglied dieses Parlamentes zu sein.
Nach der Vereidigung wird das Präsidium neu gewählt. Unser Eric Nussbaumer erhält ein absolutes Glanzresultat: 180 Stimmen! Ich freue mich auf das Ratsjahr mit ihm. Als 1. Vizepräsidentin wird mit ebenfalls ausgezeichneten 177 Stimmen Maja Riniker von der FDP gewählt. Pierre-André Page von der SVP wird schliesslich mit 155 Stimmen zum 2. Vizepräsidenten gewählt.
Dritte Woche, letzter Tag (29.9.)
Und jetzt ist er da, der letzte Sessionstag für 29 meiner Kolleg:innen. Sie werden heute alle gebührlich verabschiedet. Ehrlich gesagt komme ich gar nicht mehr aus dem Heulen heraus. Aus unserer Fraktion hören nämlich Sandra Locher Benguerel, Edith Graf-Litscher, Yvonne Feri, Prisca Birrer-Heimo, Ada Marra und natürlich Angelo Barrile auf. Es ist einfach nicht wahr, dass es in der Politik keine Freundschaften gibt. Auch hier im Bundeshaus sind es die Menschen, die es ausmachen.
Für alle, die nochmals antreten, ist natürlich der 22. Oktober ein wichtiger Tag ;-). Darum stürze ich mich morgen auch wieder voller Elan in den Wahlkampf, aber heute brauche ich noch etwas Pause.
Dritte Woche, vierter Tag (28.9.)
Heute ist sozusagen der letzte «normale» Sessionstag. Morgen sind dann nur noch Schlussabstimmungen und Verabschiedungen (habe ich schon erwähnt, dass mir davor graut?). Wir starten gleich mit harter Kost: Wie diskutieren das Massnahmenpaket 2 zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Das Paket schlägt sieben Massnahmen vor, wie zum Beispiel Netzwerke zur koordinierten Versorgung, differenzierte Wirksamkeit/Zweckmässigkeit/Wirtschaftlichkeit-Überprüfung, faire Referenztarife für eine freie Spitalwahl etc. Dass es Massanehmen zur Kostendämpfung braucht, ist unbestritten. Aber es ist nicht so, dass der Bundesrat nie etwas unternehmen wollte. Es ist dieses Parlament mit all seinen Interessensvertreter:innen von Krankenkassen und Pharmafirmen, das erfolgreich dafür gesorgt hat, dass es nicht vorwärts geht. Die Profitlogik im Gesundheitswesen muss endlich gestoppt werden! Die Vorlage fällt dann nicht zu unserer Zufriedenheit aus, einige Punkte sind gut, andere weniger. Wir stimmen zu oder enthalten uns. Immerhin erhält ein Postulat eine Mehrheit, das den Beitritt der Schweiz zur BeNeLuxA-Initiative prüfen soll. Mit einer internationalen Zusammenarbeit im Arzneimittelbereich kann billiger eingekauft werden.
Nach der Mittagspause kommt der Hammer aus dem Ständerat: Eine Motion der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats will den Bundesrat beauftragen, das Kriegsmaterialgesetz so zu ändern, dass sich die Landesregierung über die Bewilligungskriterien für die direkte Ausfuhr von Kriegsmaterial wieder hinwegsetzen kann. Die Motion würde die Errungenschaft des Gegenvorschlags zur Korrektur-Initiative also rückgängig machen. Mit dem Gegenvorschlag wurde nämlich in Art. 22a KMG verankert, dass kein Kriegsmaterial an Staaten geliefert werden darf, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen oder wo ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Mit der vorliegenden Motion könnte der Bundesrat, basierend auf äusserst vagen Kriterien („ausserordentliche Umstände“; „Interessen des Landes“) von diesen Bedingungen wieder abweichen. Man lässt also wieder Schlupflöcher zu. Abgesehen davon, dass dieser „Move“ höchst undemokratisch ist, nützt er der Ukraine null und nichts. Direkte Waffenlieferungen sind neutralitätsrechtlich verboten. Es handelt sich hier also klar um eine „Lex Rüstungsindustrie“. Das Anliegen kommt leider durch im Ständerat, weil die Mitte gekippt ist, mit bedenklichen 27 Ja-Stimmen, bei 11 Nein und 3 Enthaltungen.
Nach Sitzungsschluss lädt der NR-Präsident Martin Candinas zum Apéro ein. Eine wahrlich verrückte Legislatur geht zu Ende. Wir kamen nicht mehr aus dem Krisenmodus raus: Corona-Krise, Ukraine-Krieg und CS-Debakel. Meine grundsätzliche Zuversicht, dass am Schluss doch alles gut kommt, hat Risse bekommen. Trotzdem verliere ich die Hoffnung nicht, es geht weiter! Aber jetzt bin erst mal traurig wegen all den lieben Kolleg:innen, die nicht mehr dabei sind werden, allen voran natürlich Angelo.
Dritte Woche, dritter Tag (27.9.)
Auf dem Pult liegt heute der obligate Zettel, der einen nett, aber bestimmt, darauf hinweist, dass wir unsere Pulte bis am Freitag leeren müssen. Ob wir den Schlüssel dazu wieder bekommen, steht erst am 22. Oktober fest…
Am heutigen Sitzungstag haben wir zwei ausserordentliche Sessionen zu den Themen „Wohnen und Mieten“ und „Zuwanderung und Asyl“. Ist jetzt schwierig herauszufinden, welche Partei welches Thema eingebracht hat ;-). Dem Wahlkampf kann man sich natürlich auch im Bundeshaus nicht entziehen. Die SVP schafft es, auch beim Thema Wohnen alles auf die Zuwanderung zu reduzieren. Um mehr bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, brauchen wir aber vor allem faire Mieten, eine Kontrolle der Bodenpreise und eine Förderung von gemeinnützigem Wohnbau, denn unser Boden ist ein kostbares und beschränktes Gut. Anstatt spezielle Wohnzonen für Superreiche zu schaffen, müssen wir verdichtet bauen, unsere Mobilität überdenken und das wertvolle Agrarland besser schützen. Alle unsere Vorstösse, die in diese Richtung gehen, werden leider abgelehnt.
Die ausserordentliche Session zur Zuwanderung wird zur übelsten SVP-Show. BR Elisabeth Baume-Schneider wird von der SVP mit Dutzenden Fragen «gegrillt». In diesem Ausmass habe ich das noch nie gesehen, Wahlkampf pur. Elisabeth kontert aber sehr gut. Fakt ist, dass wir dringend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sind und dass wir Menschen in Not helfen müssen. Einfach die Grenzen zuzumachen ist keine realistische Lösung, das weiss im Grunde auch die SVP. Die Motion «Keine 10 Millionen-Schweiz» wird dann auch zum Glück abgelehnt.
Dann gibt es auch noch etwas Positives zu vermelden: Das Postulat aus der Rechtskommission «Verbesserung der Situation der nichtbinären Personen» wird überweisen. Die SVP ist dagegen und tut die berechtigten Anliegen von nichtbinären Personen als «Woke-Thema» ab.
Am Abend gehen Angelo Barrile, Claudia Friedl und ich in unserem Lieblingsrestaurant «Luce» essen. Wir sind schon ganz wehmütig, unser letzter gemeinsamer Abend hier zu dritt.
Dritte Woche, zweiter Tag (26.9.)
Der heutige Morgen ist wieder UVEK-Geschäften gewidmet. Nachdem der Nationalrat beim Mantelerlass dem Ständerat folgt, geht es danach um die Parlamentarische Initiative «Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben.» Bei der Erweiterung altrechtlicher Wohnhäuser (also vor Inkrafttreten der Zweitwohnungsinitiative) sollen deren Eigentümer:innen mehr Spielraum erhalten. Sie sollen ihre Häuser um maximal 30 Prozent vergrössern und gleichzeitig zusätzliche Wohnungen schaffen können, ohne dass die Nutzung eingeschränkt wird. Die SP will nicht auf die Vorlage eintreten. Wir lehnen diese Änderung des Zweitwohnungsgesetzes ab, weil sie aus unserer Sicht den Zweitwohnungsartikel der Verfassung klar verletzt und sich ungünstig auf den Erstwohnungsmarkt auswirkt. Der Wohnraum für die Einheimischen wird so schlicht zu knapp und zu teuer. Leider tritt der Rat auf das Geschäft ein und stimmt der Vorlage dann auch mit 105:80 Stimmen bei 8 Enthaltungen zu. Jetzt ist der Ständerat dran.
Erfreuliches kommt kurz vor Mittag aus dem Ständerat: Auch die kleine Kammer stimmt der Ausserdienststellung der 25 Leopard 2-Panzern zu: Der Weg ist nun frei für einen Verkauf an Rheinmetall.
Am Mittag erreicht uns dann alle die erwartete, nicht wirklich frohe Botschaft: Die Krankenkassenprämien werden im Jahr 2024 weiter ansteigen, 8,7% im Schnitt. Es braucht jetzt dringend Entlastungsmassnahmen für die Bevölkerung – nur so kann die Kaufkraft gesichert werden. Die SP-Prämien-Entlastungs-Initiative ist ein guter Weg, die Bevölkerung schnell und wirksam zu entlasten. Der Gegenvorschlag ist ja leider total ungenügend in der Endfassung.
Dritte Wocher, erster Tag (25.9.)
Nach einem abwechslungsreichen Wochenende mit einigen Wahlkampfaktivitäten (zum Beispiel dem Frauen-Stadtrundgang in Winterthur, absolutes Highlight!) startet heute die dritte und letzte Sessionswoche in dieser Legislatur. Mir graut ehrlich gesagt vor dem Freitag, wenn ganz liebe Kolleg:innen und Freund:innen von mir verabschiedet werden, allen voran natürlich Angelo Barrile.
Aber bis es soweit ist, wird selbstverständlich noch gearbeitet. Wir beginnen mit einer Differenzbereinigung. Der Nationalrat hat in der ersten Woche noch beschlossen, dass junge Mütter auch während des Mutterschaftsurlaubs ihre politischen Mandate weiterhin wahrnehmen können sollen. Der Ständerat will dies weiterhin aber nur ermöglichen, wenn man sich in den jeweiligen politischen Gremien nicht vertreten lassen kann. Er setzt sicher leider durch damit. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.
In Zukunft soll der Rechtsverkehr über eine digitale Kommunikationsplattform erfolgen können. Diese digitale Kommunikationsplattform soll von Bund und Kantonen gemeinsam aufgebaut und finanziert werden. Die Kantone sollen auch eigenständige Plattformen benutzen dürfen. Die Kosten für den Aufbau der Plattform werden mit 28 Millionen Franken veranschlagt. Vorgesehen ist, dass sich der Bund daran mit 25 Prozent beteiligt. Betrieb und Weiterentwicklung der Plattform werden über Gebühren finanziert. Das Geschäft ist weitgehend unbestritten, ausser die SVP ist dagegen. Sie hat Bedenken wegen der Cybersicherheit. Die Vorlage geht nun in den Ständerat.